Vorhang auf und Bühne frei

Allgemein, Bewerber, Personalauswahl, Recruiting

Folgt man nicht Hape Kerkeling, sondern den Alltagsbeobachtungen des amerikanischen Soziologen Erving Goffman, dann ist das Leben kein Quiz, sondern ein Theaterstück. In der Interaktion mit anderen agieren wir wie Darsteller, die versuchen, eine bestimmte Rolle bestmöglich auszufüllen. Eigentlich eine durchaus treffende Analogie. Denn jeder von uns ist tagtäglich in verschiedenen Rollen unterwegs – als Mutter, Freund, Arbeitskollegin oder Mannschaftskapitän einer Freizeitfußballmannschaft. In der Regel haben wir eine gewisse Vorstellung davon, was von uns erwartet wird und wie wir, auch unabhängig davon, rüberkommen wollen. Vielleicht nicht permanent, aber oft genug versuchen wir das, was der Gegenüber von uns denkt, zu steuern – selbst, wenn uns das nicht immer so bewusst sein mag. Neudeutsch spricht man hier auch von Impression Management.

Ein schmaler Grad

Es gibt Situationen, in denen will einfach jeder bei seinem Interaktionspartner einen möglichst guten Eindruck machen. Etwa bei einem ersten Date mit gutem Essen und Kerzenschein, aber auch im beruflichen Kontext – klassischerweise beim Vorstellungsgespräch. Hier werden Besprechungsräume zur großen Bühne, Bewerber zu Hauptdarstellern und Personaler zum Publikum. Getrost kann man davon ausgehen, dass sich Betroffene akribisch auf ihren Auftritt vorbereiten. An mehr oder weniger hilfreichen Regieanweisungen mangelt es jedenfalls nicht. Würde man die Ratgeberliteratur für Bewerber aneinanderreihen, kämen sicher Regalmeter im hohen zweistelligen Bereich zusammen. Bei all dem geht es natürlich darum, sich bestmöglich zu verkaufen. Das liegt in der Natur der Sache, ist aber nicht immer ganz so einfach und oftmals eine Gradwanderung: selbstbewusst sein, ohne arrogant zu wirken, auf Gestik und Mimik achten, aber authentisch bleiben …

Mehr Schein als Sein

Manch einer denkt angesichts des bevorstehenden Jobinterviews an ein Verhör und bekommt weiche Knie. Anderen wiederum ist die Rolle auf den Leib geschneidert. Sie glauben an sich, sind Meister der Selbstdarstellung. Sie finden großen Gefallen daran, andere von sich zu überzeugen. Im besten Fall bringen sie auch noch alle geforderten fachlichen Qualifikationen mit. Es kann aber auch sein, dass es an entscheidender Stelle nicht unerheblich mangelt. Der Blender ist sich dessen durchaus bewusst, ignoriert es aber. Frei nach dem Motto: „Bin ich erstmal drin, werde ich mich schon irgendwie durchwurschteln“. Und tatsächlich, Beispiele dafür, dass eine solche Strategie erfolgreich sein kann, sind überall zu finden – in der Wirtschaft, in der Politik oder anderswo. Dann gibt es aber auch diejenigen, die aufgrund ihrer fehlenden Kompetenzen ihre eigene Unwissenheit gar nicht erkennen. Im Gegenteil, sie überschätzen sich und halten alle anderen für weniger qualifiziert. Bekannt ist dieses Phänomen unter dem Dunning-Kruger-Effekt. Von wegen: „Ich weiß, dass ich nichts weiß“. Wie auch immer der Einzelfall gelagert ist, erreichen die Unwissenden dank eines gelungenen Auftritts ein festes Engagement, kann das für Unternehmen schnell unangenehm und in der Konsequenz auch teuer werden.

Gesunde Skepsis

Stellenaspiranten haben in puncto Selbstinszenierung bisweilen erstaunliche Fertigkeiten entwickelt – eine gewisse Virtuosität bei der Ausgestaltung der eigenen Vita inklusive. Hier ist also Wachsamkeit gefragt. Nicht immer lässt sich nämlich einfach feststellen, ob hinter einem eloquenten Auftritt auch tatsächlich stellenrelevante Substanz steckt. Personaler müssen ja nicht hinter jedem Bewerber gleich einen Hochstapler vermuten, ein gesunder kritischer Blick gegenüber dem, was ihnen präsentiert wird, scheint aber immer angebracht. Was vielfach schon im Vorfeld eines persönlichen Kennenlernens hilft, ist übrigens ein Blick in die Sozialen Medien. Also dann, Vorhang auf.

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