Ghosting – Und plötzlich sind sie weg

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Es hätte alles so schön sein können. Der erste Kontakt war schon sehr vielversprechend, man hat sich auf Anhieb verstanden. Beim folgenden Date wurde schnell klar, dass man auf einer Wellenlänge unterwegs ist. Die Chemie hat gestimmt, keine Frage. Ein Eindruck, der sich in ausgiebigen Telefonaten und nach dem Austausch unzähliger Kurznachrichten so auch bestätig hat. Und dann, kurz vor dem zweiten Treffen – nichts mehr. Rückrufbitten auf der Mailbox, Null Reaktion. Nachfragen via WhatsApp, keine Antwort. Totale Funkstille. Der Mensch, dem man sich eben noch so nahe gefühlt hat, scheint plötzlich wie vom Erdboden verschluckt. Er ist einfach verschwunden, von jetzt auf gleich. Neudeutsch wird hier auch von Ghosting gesprochen. Gemeint ist ein vollständiger Kontaktabbruch, ohne Ankündigung und Vorwarnung. Wie aus heiterem Himmel, so, als wäre nie was gewesen.

Verlorene Kandidaten

Das Phänomen tritt in allen möglichen Lebensbereichen auf. So hat es in den letzten Jahren auch im Arbeitsmarkt, das heißt im Bewerbungsprozess, stark an Verbreitung gewonnen. HR-Verantwortliche in Unternehmen und Personaldienstleister können ein Lied davon singen. Kaum jemand, der nicht vom unverhofften und stillen Abhandenkommen eines erfolgversprechenden Kandidaten zu berichten weiß. Umfragen weisen unter Arbeitgebern eine Betroffenen-Quote von bis zu 95 Prozent aus. Und dabei geht es nicht nur um die Fälle, bei denen ein vielleicht noch einigermaßen unverbindlicher Erstkontakt sang- und klanglos im Sand verläuft. Tatsächlich kommt es auch vor, dass Schreibtische verwaist bleiben, weil vor Kurzem angestellte Kräfte an ihrem ersten Arbeitstag einfach nicht erscheinen. Ein Schlag ins Gesicht für jeden Personaler. Dass ein solches Verhalten unerfreulich und nicht wirklich akzeptabel ist, darüber gibt es wohl keine zwei Meinungen. Aber wie kann es dazu kommen? Was treibt erwachsene Menschen um, sich jenseits gewohnter gesellschaftlicher Konventionen zu verhalten?

Der einfache Weg

Es kann durchaus sein, dass hier jemand in den entscheidenden Jahren nicht den richtigen erzieherischen Input bekommen hat und es einfach nicht besser weiß. Vielleicht steckt dahinter aber auch eine Persönlichkeit, der es ein Stück weit an Respekt mangelt. Ihm oder ihr ist zwar grundsätzlich bekannt was sich gehört, es interessiert aber nicht weiter. Rücksichtnahme, was ist das? Verschiedentlich wird auch ins Feld geführt, dass gerade junge Bewerber*innen unerfahren und verunsichert sind. Der stumme Rückzug würde einem persönlichen Gespräch deshalb vorgezogen. Sich lieber gar nicht mehr zu melden, erscheint dann im Zweifel einfacher, als sich am Ende noch erklären zu müssen. Wie auch immer im Einzelfall der abrupte Kontaktabbruch motiviert ist, für HR ist es ein Ärgernis das Zeit und Geld kostet – erst recht natürlich dann, wenn Verträge schon unterschrieben sind, Mitarbeiter sich bereits auf den Empfang des neuen Belegschaftsmitglieds vorbereitet haben und der Onboarding-Prozess minutiös durchgeplant ist.

Persönliche Bindung schaffen

Ghosting kann jeden treffen. Zumal der Arbeitsmarkt für Jobsuchende in vielen Bereichen eine große Anzahl alternativer Optionen bietet. Wer die Auswahl hat, braucht im Zweifel eben nicht immer Rücksicht auf die Etikette zu nehmen. Was man dabei nicht vergessen darf: Es gab auch Zeiten, da dachten Unternehmen, man könne Bewerber ohne Rückmeldung am langen Arm stillschweigend „verhungern“ lassen. Vielleicht rächt sich das jetzt. Arbeitgeber sollten zusehen, dass sie von Beginn an eine möglichst enge, persönliche Beziehung zu ihren Bewerbern aufbauen. Dazu gehört vor allem Transparenz und eine kontinuierliche Information über den Status des Bewerbungsprozesses. Kandidaten und Kandidatinnen müssen sich wertgeschätzt fühlen. So lässt sich ein Ghosting zwar nicht ausschließen, die Hemmschwelle für einen radikalen Beziehungscut ist aber zumindest etwas höher gelegt.

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