Wer Guerilla hört, hat vermutlich Bilder von aufständischen Kämpfern vor Augen, die irgendwo im lateinamerikanischen Dschungel in den Kleinkrieg ziehen – verdeckt, aus dem Hinterhalt, mit unkonventionellen Methoden. Was das alles mit Recruiting zu tun hat, erklärt Kommunikationsberater Marcus Pontzen.
Guerilla ist ein Begriff, den man nicht unbedingt im Recruiting verortet. Was verbirgt sich dahinter?
In den 1980er-Jahren hat der US-amerikanische Unternehmensberater Levinson den etwas martialisch anmutenden Begriff des Guerilla-Marketing eingeführt. Und zwar als Bezeichnung für Vermarktungsaktionen die überraschend, ungewöhnlich und dadurch besonders aufmerksamkeitsstark sind. Dieser Grundgedanke wurde dann auch für die Personalgewinnung adaptiert.
Was bedeutet das in diesem Zusammenhang?
Es geht hier um Maßnahmen jenseits der üblichen Stellenanzeige in der Samstagsausgabe der überregionalen Zeitung oder dem Jobanagebot im Karrierebereich der Unternehmenswebsite. Das heißt, sie treffen ihre avisierte Zielgruppe dann, wenn sie es nicht unbedingt erwartet, mit einer Ansprache, die sich inhaltlich oder in der Form unterscheidet von dem, was man gemeinhin als bekannt und gelernt voraussetzen darf. Guerilla-Recruiting setzt auf ein Überraschungsmoment, um Awareness für vakante Stellen und Jobangebote zu schaffen.
Können sie uns ein konkretes Beispiel nennen?
Ein Klassiker ist die Pizzaaktion, mit der eine Hamburger Werbeagentur vor Jahren auf die „Jagd“ nach Kreativen gegangen ist. Mitarbeiter von Konkurrenten bekamen zusammen mit Ihrer Pizzabestellung zusätzlich eine kostenlose Pizza an ihren Arbeitsplatz geliefert. Auf der befand sich ein QR-Code aus Tomatensauce, der dann zur Stellenausschreibung des Unternehmens führte. Die Aktion war ein voller Erfolg.
Ist Guerilla-Recruiting also eher eine Geschichte für die Werbebranche?
Nein, das kann man so nicht sagen. Menschen in Kreativberufen haben möglicherweise eine besondere Affinität zu ausgefallenen, pfiffigen Ideen. Es gibt aber auch gute Beispiele aus anderen Bereichen, in denen Guerilla-Maßnahmen durchaus wirkungsvoll waren, etwa bei der Rekrutierung von Controllern. Entscheidend ist eine wirklich gut durchdachte Idee, die den Nerv derjenigen trifft, die ich erreichen möchte. Man darf sich da nichts vormachen. Die Entwicklung von Guerilla-Kampagnen setzt eine sorgfältige Analyse voraus, auch wenn das, was nachher sichtbar wird, für Außenstehende nicht unbedingt darauf hindeutet. Ich muss aber genau wissen, wie meine Zielgruppe tickt und wo ich sie auf welchem Weg erreichen kann. Das ist immer die Basis für die eigentliche Kreativarbeit.
Warum sollten sich Unternehmen mit Guerilla-Recruiting beschäftigen?
Weil sie sich im Werben um die besten Köpfe heute in der Regel in einem hoch kompetitiven Umfeld bewegen. Unternehmen, die hier nicht untergehen wollen, müssen als möglicher Arbeitgeber erst einmal wahrgenommen werden. Das heißt, wer als BMW, Henkel oder Adidas nicht ohnehin schon im Mindset qualifizierter Kandidaten ist, muss sich was einfallen lassen. Das gilt insbesondere für kleine und mittelständische Unternehmen mit eher begrenztem Budget. Wenn die monetären Mittel für die großen multimedialen Kampagnen fehlen, kann es sich lohnen, über ganz neue Wege nachzudenken.
Welche Rolle spielen Social Media hier?
Einerseits kommen Social Media als Kanäle und eigentliche Träger von Guerilla-Maßnahmen in Frage. Andererseits können sie natürlich auch als Katalysatoren einer gelungenen Aktion eine wichtige Rolle spielen. Stichwort: Virale Effekte. Jeder kennt das wahrscheinlich aus dem privaten Bereich, wenn Inhalte innerhalb kürzester Zeit die Runde machen und schnell immense Reichweiten erzielen. Missglückte Aktionen können andererseits aber auch zum Bumerang werden und im ungünstigsten Fall einen Shitstorm mit weitereichenden Imageschäden auslösen. Das sollte einem schon klar sein.
Bewegt man sich mit Guerilla-Maßnahmen nicht ohnehin auch immer ein Stück weit auf dünnem Eis?
Nicht notwendigerweise, wie das Beispiel oben zeigt. Allerdings muss bei jeder Maßnahme natürlich geprüft werden, ob sie in irgendeiner Form gegen Recht und Gesetz verstößt. Jenseits juristischer Aspekte gilt es aber auch immer geschmackliche Grenzen zu beachten. Während es hier sicher Dinge gibt, die für jeden normal Denkenden absolute No-Gos sind, kann es im Einzelfall auch schonmal eine nicht ganz so einfache Abwägung sein. Etwa dann, wenn auf Humor als Stilmittel gesetzt wird.
Haben Sie Tipps für Unternehmen, die auf Guerilla-Maßnahmen im Recruiting setzen möchten?
Bilden sie multiprofessionelle Teams aus Personalern, Kommunikationsexperten und Kreativen. Setzen sie sich dezidiert mit ihrer Zielgruppe auseinander und schauen sie sich ruhig einmal erfolgreiche Guerilla-Maßnahmen aus der Vergangenheit an. Nicht um Kampagnen zu kopieren, sondern um ein Gefühl für mögliche Ansatzpunkte und Wirkmechanismen zu entwickeln. Haben sie schließlich immer auch einen wachsamen Blick auf mögliche Fallstricke, bevor sie sich aus der Deckung wagen.
Zur Person
Marcus Pontzen arbeitet als Kommunikationsberater für Unternehmen und nicht erwerbswirtschaftlich tätige Organisationen. Er ist Partner im Düsseldorfer Beratungsnetzwerk westwerk3.
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