Es ist jetzt ziemlich genau eine Dekade her, seitdem Peter Löscher, damals frischgebackener Vorstandschef von Siemens, mit einiger Ernüchterung feststellte, dass sein Unternehmen in Punkte personeller Vielfalt einigen Nachholbedarf hat. „Zu männlich, zu Deutsch, zu farblos“, so sein Urteil. Die Konsequenz: Wenig später wurde mit Jill Lee im Konzern erstmalig ein Chief Diversity Officer installiert. Und auch wenn eine ihrer Kernaufgaben darin bestand, die Karrierechancen von Frauen zu verbessern – der Grundgedanke von Löscher ging deutlich über das durchaus berechtigte Anliegen einer stärkeren Präsenz des weiblichen Geschlechts in Führungspositionen hinaus.
Von Vielfalt profitieren
Diversity Management heißt das Stichwort. Hervorgegangen ist der Diversity-Ansatz ursprünglich aus der US-amerikanischen Bürgerrechts- und Frauenbewegung der 60er-Jahre. Im Fokus standen damals tatsächlich Fragen der Gleichberechtigung und Gleichstellung. Daraus hat sich bis heute ein personalpolitisches Konzept entwickelt, bei dem die Unterschiedlichkeit von Menschen unter dem Blickwinkel der möglichen Chancen und Potenziale betrachtet wird. Unternehmen stellen sich die Frage, wie man einen ökonomischen Nutzen aus einer heterogen zusammengesetzten Belegschaft oder Teamstruktur ziehen kann.
Tatsächlich zeigten sich im Rahmen einer Studie der Unternehmensberatung EY über 65 Prozent der Unternehmen davon überzeugt, dass Diversity Management, d.h. das gezielte Nutzbarmachen von Vielfalt, der eigenen Organisation konkrete Vorteile bringt – insbesondere in Bezug auf Offenheit und Lernfähigkeit. Das klingt plausibel. So können etwa Jüngere vom reichen Erfahrungsschatz ihrer älteren Kollegen profitieren, oder international agierende Unternehmen das kulturelle Wissen ihrer ausländischen Mitarbeiter gewinnbringend nutzen. Sozio-demographische Entwicklungen oder auch die zunehmende Globalisierung unserer Wirtschaft sind hier zwei zentrale treibende Faktoren. So betrachtet ist Diversität also nicht nur Ausdruck eines gesellschaftlichen oder politischen Willens, sondern schlichtweg die Konsequenz aus rationalen, ökonomischen Überlegungen.
Personalmanagement in der Verantwortung
Klar ist, Diversity Management muss in den Köpfen der Unternehmensführung anfangen. Denn nur wenn ganz oben, im Top-Management, Heterogenität nicht mehr als problembehaftet betrachtet, sondern als Chance und Notwendigkeit begriffen wird, kann die kulturelle Basis für ein fruchtbares Miteinander unterschiedlichster Individuen geschaffen werden. Die Aufgabe von HR ist es dann nicht nur, die personalpolitischen Instrumente für eine möglichst reibungslose Integration diverser Mitarbeiter zu etablieren. Es gilt im Zweifel auch, sich von stereotypen Mustern bei der Personalauswahl zu lösen. Vielleicht lassen sich neue Perspektiven und innovative Produkte ja besser dann entwickeln, wenn vielfältige berufliche Erfahrungen und Biographien in einem Team zusammenkommen. Heterogenität kann hier ein Schlüssel zu einer besseren Problemlösungsfähigkeit sein. In diesem Zusammenhang lohnt es dann auch schon mal, im Rahmen des Recruitings selber aktiv zu werden. Denn der ein oder andere vielversprechende Kandidat hat das eigene Unternehmen als potenziellen Arbeitgeber möglicherweise gar nicht im Mind Set.
Viel Luft nach oben
Diversity Management steckt in Deutschland trotz aller Fortschritte und Einsichten immer noch in den Kinderschuhen. Laut EY-Studie haben zwei Drittel der Unternehmen keine diesbezüglichen Maßnahmen umgesetzt und nur rund ein Fünftel plant solche für die Zukunft. Fast schon ernüchternd sind auch die in diesem Frühjahr veröffentlichten Analyse-Ergebnisse der Deutsch-Schwedischen Allbright-Stiftung. Nicht nur, dass in den untersuchten Vorständen der an der Frankfurter Börse notierten Unternehmen Frauen mit einem Anteil von sieben Prozent deutlich unterrepräsentiert waren. Die männlichen Vorstandsmitglieder glichen sich hinsichtlich Alter, Herkunft und Ausbildung frappierend, sie waren nahezu identisch. Der Grund: Vorstandspositionen werden nach dem Prinzip der größtmöglichen Ähnlichkeit besetzt – die Gremien reproduzieren sich gewissermaßen selber. Die Studie spricht an dieser Stelle von ausgeprägten Monokulturen. Von Vielfalt bleibt das alles also noch weit entfernt.
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