Gemessen in IT-Innovationszyklen ist es schon eine halbe Ewigkeit her. Viele erinnern sich aber noch an die Zeiten, als das Internet laufen lernte und Start-ups wie Pilze aus dem Boden schossen, getrieben von der Aussicht auf Millionenumsätze und dem Traum vom Going Public. Seitdem ist die Digitalisierung unserer Welt Jahr für Jahr mit Riesenschritten vorangegangen. Legendär sind Beispiele von Unternehmen wie Amazon oder Google, die mit ihren Geschäftsmodellen ganze Branchen auf den Kopf gestellt haben.
Platzhirsche bekommen Konkurrenz
Ähnlich weitreichende Veränderungen zeichnen sich seit geraumer Zeit auch im Banken- bzw. Finanzsektor ab. Denn etablierte Institute werden getrieben von Start-ups, die sich in Geschäftsfeldern betätigen, welche bislang Banken der klassischen Ausprägung vorbehalten waren. Und sie schicken sich an, den bisherigen Platzhirschen ernsthaft Konkurrenz zu machen. Inzwischen bieten weltweit Tausende noch junge Unternehmen Dienstleistungen und neue technologische Lösungen für die Finanzbranche an – viele von ihnen in den Anwendungsfeldern Zahlungsabwicklung (z.B. PayPal), Anlage (z.B. die Social Trading-Plattformen wie eToro) und Finanzierung (z.B. Peer-to-Peer-Lending-Plattformen wie auxmoney). Der große Vorteil der neuen Player im Bankengeschäft liegt darin, dass sie den großen Häusern bei der Entwicklung innovativer technischer Anwendungen in Sachen Flexibilität, Kreativität und Schnelligkeit ein Stück weit voraus sind.
Fintech boomt
Bill Gates dürfte sich jedenfalls ein Stück weit bestätigt sehen. Hatte der Microsoft-Gründer doch bereits vor über zwanzig Jahren mit der Aussage für Diskussionsstoff gesorgt, dass Banken doch eigentlich überflüssig seien. Wie auch immer, Fakt ist, der Markt für Finanztechnologie, kurz Fintech, boomt. Einer Studie der Beratungsgesellschaft Accenture zufolge, haben sich die Investitionen in diesem Bereich von knapp 2 Mrd. US-Dollar im Jahr 2010 auf 12,21 Mrd. US-Dollar in 2014 innerhalb von nur vier Jahren mehr als versechsfacht. Während der Großteil der Investitionen nach wie vor dem amerikanischen Markt zugutekommt, verzeichnet Europa unterdessen die höchsten Zuwachsraten – Ganz vorne mit dabei, sind Großbritannien und Irland mit der Finanzmetropole London, als dem europäischen Fintech-Zentrum. Deutschland hinkt mit einer Investitionssumme von 82 Millionen US-Dollar im Vergleich weit hinterher.
Digitalisierung erst am Anfang
Viele Experten gehen davon aus, dass die Digitalisierung des Finanzsektors gerade erst am Anfang steht. Absehbar haben die Banken in jedem Fall dort noch die Nase vorn, wo das Geschäft komplexer und von einer hohen Beratungsintensität geprägt ist – zum Beispiel bei der Unterstützung von Unternehmenskunden im Auslandsgeschäft, bei der Durchführung von Börsengängen oder auch bei der Betreuung von Großkonzernen. Die Fintechs spielen ihre Stärken bislang vor allem im Geschäft mit dem Privatkunden aus. Sie haben das Gespür dafür, wo standardisierte Prozesse effizienter abgewickelt werden können und verfügen über das entsprechende Know-how, um smarte, benutzerfreundliche Lösungen zu entwickeln.
Wollen die Banken an dieser Stelle nicht den Anschluss verpassen, müssen sie sich bewegen und Strategien entwickeln, um ihre Innovationsfähigkeit dauerhaft zu sichern – etwa durch die direkte Investition in Fintech-Startups. Zu diesem Zweck gründete die Commerzbank 2013 beispielsweise den Main Incubator und auch die Nord/LB ist Ende vergangenen Jahres auf den Fintech-Zug aufgesprungen. Gemeinsam mit Dieter von Holtzbrinck Ventures, einem führenden Frühphaseninvestor, startete die Landesbank ein Joint Venture zur Finanzierung von Fintech-Start-ups. Die Großen scheinen also doch erkannt zu haben, wohin die Reise geht.
Arbeitsmarkt Fintech
„Entwickelt sich die Branche tatsächlich mit einem ähnlich hohen Tempo weiter, wie in der jüngsten Vergangenheit, wird die adäquate Besetzung von Stellen zunehmend ein Problem werden“, glaubt Daniel Jajko, Standortmanager und Experte für den Finanztechnologie-Bereich bei people-to-business. Manch einer befürchtet in den nächsten drei Jahren schon einen massiven Nachwuchsmangel, der die Recruiting-Abteilungen vor große Herausforderungen stellen wird. Aus diesem Grund haben sich in Berlin bereits Fintech-Unternehmen zusammengeschlossen, um über ein gemeinsam aufgelegtes Stipendium Nachwuchskräfte zu akquirieren. Aus der anderen Perspektive betrachtet, bieten sich für IT-Experten mit einer gewissen Affinität zum Bankengeschäft perspektivisch hervorragende Beschäftigungsmöglichkeiten, sowohl bei Banken als auch auf Seiten von Fintechs. Letztere sind dann ja vielleicht auch für diejenigen eine Option, die bislang eher einen großen Bogen um den Bankensektor gemacht haben. Denn im Bankengeschäft sind heute nicht mehr nur Anzugträger tätig.
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